Ungewisse Lage für Familien im Nordirak ein Jahr nach der Flucht

Farhan Khala vit dans des conditions précaires dans l’un des appartements de ces immenses squelettes de béton près de Zakho.

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Die Vertriebenen leben unter schwierigen Bedingungen, häufig in Rohbauten, ohne Strom und fliessend Wasser. Darunter leidet auch die Gesundheit.

Vor einem Jahr musste die Familie von Hadji Charmeed eine schwerwiegende Entscheidung treffen. „Wegen einer alten Kriegsverletzung bin ich gehbehindert“, sagt Hadji und zeigt auf seinen teilamputierten Fuss. „Meine Familie wollte mich nicht zurücklassen, sondern hat entschieden, dass wir alle zusammenbleiben sollten.“ Denn an diesem Tag griffen bewaffnete Gruppen den Bezirk Sindschar im irakischen Gouvernement Ninawa an, so dass Tausende von Menschen getötet oder in die Flucht getrieben wurden.
Ein Teil der Einwohner flüchtete ins Sindschar-Gebirge. Andere, darunter Hadji, wurden gefangen genommen. Nach mehreren Monaten in Gefangenschaft fanden Hadji und ein Teil seiner Familie schliesslich einen Zufluchtsort. Sie schafften es, in den Norden des irakischen Kurdistans zu fliehen, und leben seither unweit der Stadt Zakho. Sämtlichen Besitz mussten sie zurücklassen und bei ihrer Ankunft waren sie völlig mittellos. Nun hausen sie in einem der unfertigen Neubauten in der Gegend.

Mobile Kliniken für die Vertriebenen

Rund 700 Familien mit jeweils mindestens sechs Mitgliedern pro Familie leben in dieser Gegend in unfertigen Häusern und Rohbauten mehrstöckiger Wohnblocks. Die Lebensbedingungen in den unfertigen Neubauten sind hart. Die meisten dieser Betongebäude haben weder Fenster noch Türen. Sie bieten keinen Schutz vor der Witterung, weder vor der Kälte und Feuchtigkeit im Winter noch vor der Hitze im Sommer, wenn das Thermometer bis auf 50°C ansteigen kann. Strom gibt es nicht und der Zugang zum Wasser ist schwierig. Das harte Leben in den Rohbauten greift die Gesundheit an.
Seit August 2014 betreibt Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) mobile Kliniken in der Umgebung von Zakho. Von Januar bis Juni 2015 führten die medizinischen Teams von MSF fast 16‘000 Untersuchungen durch. „Bei zehn Prozent unserer Patienten sind die Beschwerden psychosomatischer Natur – ein sehr hoher Anteil“, sagt Jalal Alyas, ein MSF-Krankenpfleger. „Vierzig Prozent der Patienten leiden an chronischen Krankheiten wie Diabetes oder Bluthochdruck. Die übrigen haben Virus- und Atemwegsinfekte sowie Durchfall- und Hauterkrankungen wie Krätze.“ Besonders die letztgenannten Krankheiten sind eine direkte Folge der schlechten Lebensbedingungen. Aufgrund mangelnder Hygiene leiden viele auch unter Abszessen und infizierten Wunden.

Keine Besserung der Lebensbedingungen

Ein Jahr nach ihrer Vertreibung befinden sich die Familien noch in der gleichen prekären Situation wie zum Zeitpunkt ihrer Ankunft. Die Lebensbedingungen haben sich nicht verbessert und ihre Zukunft bleibt völlig ungewiss, da sie nicht nach Hause zurückkehren können. Zum Teil werden sie von Hausbesitzern unter Druck gesetzt, die ihr Eigentum zurückfordern. Die Flüchtlingslager sind voll und die finanziellen Mittel für Hilfsmassnahmen nehmen ab. „Viele Familien sind auf Hilfe angewiesen und leben in den Rohbauten unter furchtbaren Bedingungen. Das Interesse der Geberländer und Organisationen lässt nach. Vertriebene, die ausserhalb der Lager leben, werden nach wie vor vernachlässigt“, hält MSF-Einsatzleiterin Caroline Voûte fest.
Auch Farhan Khala lebt unter ungewissen Bedingungen in einer Wohnung eines mehrstöckigen Betonrohbaus bei Zakho. Wie die meisten vertriebenen Menschen hat er nur einen einzigen Wunsch: „Ich möchte einen sicheren Ort für meine Familie finden, damit wir wieder alle zusammenleben können. Dafür würden wir alles geben, was uns noch geblieben ist“, sagt er.
Die Eskalation des Konflikts hat dazu geführt, dass seit Januar 2014 nach offiziellen Angaben mehr als drei Millionen Menschen innerhalb des Landes vertrieben wurden.

Hilfeleistungen von MSF

MSF unterstützt bedürftige Menschen, die aus den Gouvernements Anbar, Salah ad-Din und später Ninawa geflohen sind. Die MSF-Teams leisten medizinische Versorgung in verschiedenen Regionen des Landes. Sie organisieren die Wasser- und Abwasserversorgung und verteilen Decken und andere Nicht-Nahrungsmittel (Non-Food Items). Seit Januar 2015 haben MSF-Teams bei den vertriebenen Irakerinnen und Irakern insgesamt fast 55‘598 Sprechstunden durchgeführt.
MSF ist seit 2006 in verschiedenen Gebieten im Norden und Süden des Irak tätig. Um ihre Unabhängigkeit sicherzustellen, nimmt die Organisation für ihre Programme im Irak keinerlei Geldmittel von Regierungen, religiösen Einrichtungen oder internationalen Agenturen an. Stattdessen stützt sich die Hilfstätigkeit von MSF ausschliesslich auf private Spenden von Gönnerinnen und Gönnern weltweit. MSF beschäftigt gegenwärtig mehr als 300 Mitarbeiter im Irak.

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