Ukraine: «Erzählen Sie bitte allen, was hier passiert»

Valentina Viktorowna: «Nous avons tout perdu. Heureusement que nous avons reçu le soutien des organisations.»

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Valentina Viktorowna ist eine 52-jährige Lehrerin, deren Leben durch den anhaltenden Konflikt in der Ostukraine völlig aus den Fugen geraten ist.

Sie lebt mit ihrem Mann in Pawlopil, einem Dorf nur wenige Kilometer vom Konfliktgeschehen entfernt. Zunächst verlor sie ihre Arbeit, dann wurde ihr Haus wiederholt bombardiert und beschädigt. Heute versucht sie, ihr Leben wieder in Griff zu bekommen. Sie hilft anderen und hofft darauf, dass die Gewalt bald endet. Valentina und ihr Mann werden medizinisch von Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF) versorgt. Valentina lässt sich zudem psychologisch betreuen, um zu lernen, mit den belastenden Umständen der letzten zwei Jahre umzugehen.
«Dieses Dorf ist mein Lebensmittelpunkt. Hier habe ich mir zusammen mit meinem Mann ein Zuhause geschaffen und unsere zwei Söhne aufgezogen. Der Ort war so wunderschön. Die Leute kamen hierher, um die Sommerzeit am Fluss zu verbringen. Es gab sogar Pläne, eine Ferienanlage im Dorf zu bauen.

Dann begann der Konflikt.
Ich war Lehrerin in der dörflichen Grundschule. Ich liebte meine Arbeit. Heute noch bewahre ich alle Zeichnungen und Bilder meiner Schüler auf. Die Schule wurde jedoch geschlossen und ich musste in Rente gehen. Es wurde zu gefährlich für die Kinder hier, in der Nähe der Bombardierungen. Jetzt bin ich mit nur 52 Jahren bereits im Ruhestand. Zum Glück hat mein Mann noch seinen Job in der Fabrik.

Ich kann mich nicht daran gewöhnen, an diesen langsamen Rhythmus. Als Vergleich würde ich sagen, dass ich wie ein Hochgeschwindigkeitszug war, der viel zu abrupt angehalten wurde. Um mich zu beschäftigen, arbeite ich ehrenamtlich. Ich gehe zu den anderen Familien im Dorf und versuche zu helfen, wo ich kann. Auf diese Weise finde ich Sinn in diesem neuen Alltag: indem ich anderen meine Hilfe anbiete.
In der Nähe unseres Hauses gab es zahlreiche Bombardierungen, so dass es nun stark beschädigt ist. Es sieht fast so aus, als würde es uns bald auf den Kopf fallen. Ich erinnere mich noch an die ersten Bomben, an den Lärm und wie alles um uns herum bebte. Ich hatte solche Angst und sah uns schon aus einem völlig zerstörten Haus hinausstürzen. Zum Glück steht unser Haus noch. Es wird jedoch noch lange dauern, bis es wieder instand gesetzt ist. Wir können es uns nämlich nicht leisten, die Renovierungsarbeiten zu bezahlen.
Während der Bombardierungen sassen mein Mann und ich im Wohnzimmer, weit weg vom Fenster, in vollständiger Dunkelheit; über uns wackelten die Lampen an der Decke. Um uns von der Angst abzulenken, begannen wir zu spielen und Rätsel zu raten. Das wurde uns bald zur Gewohnheit.
Dieser Konflikt hat Familien auseinandergerissen. Viele verliessen das Dorf und einige das Land, wie zum Beispiel mein ältester Sohn. Diejenigen, die in der Gegend geblieben sind, haben sogar Angst sich gegenseitig zu besuchen. Zwar ist es jetzt etwas ruhiger, aber die Lage ist immer noch unbeständig. Ich sehe meine Kinder und Enkelkinder nicht oft. Deshalb hängen ihre Bilder und Zeichnungen an dieser Wand. So habe ich ein wenig das Gefühl, dass sie hier bei uns sind. Ich vermisse sie sehr.

Wir standen einfach plötzlich vor dem Nichts. Zum Glück erhielten wir Unterstützung von Organisationen.
Ich hoffe, dass diese Gewalt bald ein Ende hat und wir zu unserem früheren Leben zurückkehren können. Vielleicht hilft es ... Erzählen Sie bitte allen, was hier passiert.»