Domiz, Irak: Neue Geburtsklinik im Flüchtlingslager

L’équipe MSF félicite la mère et lui offre un présent pour la naissance d’Ayla.

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Nur wenige Wochen nach der Eröffnung wird die neue Geburtsklinik, die MSF im Flüchtlingslager Domiz im Norden Iraks eröffnet hat, bereits von zahlreichen Syrerinnen aufgesucht. Darunter sind viele schwangere Frauen. Sie wollen alle von den verschiedenen Leistungen der Klinik profitieren, die von vorgeburtlichen Untersuchungen bis hin zu Kinderimpfungen reichen. Die meisten Mitarbeiter der Klinik sind selbst Flüchtlinge.

Das Flüchtlingslager Domiz, das sich rund 10 Kilometer entfernt von der Stadt Dohuk befindet, war ursprünglich für 30‘000 Flüchtlinge geplant. Drei Jahre später leben fast doppelt so viele Menschen dort, und Domiz ist mittlerweile zum grössten Flüchtlingslager der Region Kurdistan geworden. Je länger sie dort sind, desto kleiner wird die Hoffnung der Bewohner auf eine baldige Rückkehr in ihre Heimat. Die Siedlung entwickelt sich allmählich zu einer richtigen syrischen Stadt, in der Tuktuks verkehren und Läden von Shawarma (Fleisch im Teigfladen) über Computer bis zu Haarschnitten und Hochzeitskleidern alles verkaufen, was das Herz begehrt.
Während die Zahl der Hochzeiten und Geburten und die Bevölkerung im Lager weiter zunahmen, wurde auch der Bedarf für eine Geburtsklinik immer grösser. Man schätzt, dass es sich bei einem Fünftel der Lagerbewohner um Frauen im gebärfähigen Alter handelt, und jährlich kommen im Lager gegen 2‘100 Babys zur Welt. Die internationale medizinische Hilfsorganisation Médecins Sans Frontières/Ärzte ohne Grenzen (MSF), die seit zwei Jahren im Lager tätig ist, beschloss deshalb, ihre Aktivitäten zu erweitern.
„Unsere Klinik bot grundlegende Leistungen im Bereich der Mutter-Kind-Gesundheit, doch für die Geburt mussten die Frauen in ein überfülltes Spital in Dohuk gehen”, berichtet Dr. Adrian Guadarrama, der Leiter des medizinischen MSF-Teams in Domiz. „Seit unsere neue Geburtsklinik in Betrieb ist, müssen wir nur noch Hochrisikoschwangerschaften nach Dohuk überweisen, was das Spital erheblich entlastet.“
Golestan, stolze Mutter von drei Kindern, erholt sich im Bett; ihr neugeborener Sohn liegt gut eingepackt neben ihr. „Letztes Jahr habe ich im Spital in Dohuk geboren, da es Komplikationen gab“, erzählt sie. „Hier wurde ich ermuntert, einige Stunden im Bett liegenzubleiben, regelmässig schaut Pflegepersonal nach mir. Es ist, als wäre ich zurück in Syrien, nur dass es hier nichts kostet“, fügt sie hinzu.
Den Frauen während der Geburt beizustehen ist nur ein Teil der angebotenen Dienste. „Die Frauen können sich während des gesamten Schwangerschaftsverlaufs an uns wenden, für Schwangerenvorsorge bis zu nachgeburtlichen Kontrollen“, sagt Guadarrama. „Wir machen auch Impfungen, helfen den Frauen beim Stillen und bieten Beratung zur Familienplanung an. Das alles wirkt sich positiv auf das Wohlergeben von Mutter und Kind aus.“
Vor der Eröffnung der Geburtsklinik zogen es viele Syrerinnen in Domiz vor, in ihrem Zelt zu gebären, anstatt in das Spital in Dohuk zu reisen. „Ich rief eine syrische Hebamme, die mich während der Geburt zu Hause unterstützte, und alles lief gut“, erzählt Zozan, die sieben Monate nach der Entbindung für Impfungen in die Klinik gekommen ist. „Es wäre jedoch besser gewesen, einen Arzt in der Nähe zu haben; die Geburt im Zelt birgt immer Risiken“, sagt sie. Die lokalen Behörden stellen nun keine Geburtszertifikate mehr für Babys aus, die zu Hause auf die Welt kommen.
Die Geburtsklinik war mit der Unterstützung der lokalen Gesundheitsbehörde in Rekordzeit errichtet worden. „Es ging alles sehr schnell“, bestätigt Guadarrama. „Wir unterbreiteten den Behörden unseren Vorschlag, die diesen sofort bewilligten und uns dann das Baumaterial und die ganze medizinische Ausrüstung zur Verfügung stellten.“
Die Klinik wird von den Hebammen geleitet, und viele der neuen Mitarbeitenden mussten sich an diese Tatsache erst gewöhnen. „Das Schwierigste war, Hebammen zu finden und dann auszubilden“, sagt die Hebamme Marguerite Sheriff. „Viele sind sich gewöhnt, unter der Leitung der Ärzte zu arbeiten. Wenn ich den Hebammen sagte, dass sie eines Tages diese Einrichtung leiten würden, konnten sie es kaum glauben.“
Marguerite findet, dass man als ersten Schritt die Patienten immer untersuchen und ihnen zuhören sollte. „Wir brachten unseren Mitarbeitenden bei, die Geburt ganzheitlich anzugehen“, sagt sie.
Das Personal fühlt sich den Patienten eng verbunden, da die meisten selbst Flüchtlinge aus Syrien sind. „Unser Team besteht derzeit aus einem Gynäkologen, neun Hebammen und vier Pflegefachfrauen, die selbst syrische Flüchtlinge sind“, bestätigt Guadarrama.
Lokale Gesundheitshelfer waren im ganzen Lager unterwegs, um die Frauen über die angebotenen Leistungen zu informieren. Auch Mund-zu-Mund-Propaganda hat entscheidend dazu beigetragen, dass Frauen die neue Klinik aufsuchen. Die Eröffnung der Einrichtung schaffte es sogar auf die erste Seite der lokalen Lagerzeitung. Frauen nehmen nun selbst eine Reise auf sich, um hier gebären zu können.
Ahlam, die sich darauf vorbereitet, die Abteilung mit ihrem Neugeborenen schon bald zu verlassen, ist im Flüchtlingslager in Gowergosk registriert, das sich etwa zwei Stunden entfernt von Dohuk befindet. „Von meiner Schwägerin erfuhr ich, dass es hier syrische Hebammen gibt und eine brandneue Geburtsklinik“, erzählt sie. „Deshalb zog ich vor ein paar Wochen hierher, nur um hier zu gebären. Sobald ich wieder bei Kräften bin, gehe ich zurück nach Gowergosk.“
In der neuen Klinik gibt es bereits täglich fünf Geburten. „Bis jetzt kommen wir damit zurecht“, sagt Guadarrama, „doch unsere Grenze liegt bei sieben pro Tag. Angesichts des grossen Bedarfs prüfen wir bereits Möglichkeit, wie wir unser Angebot weiter ausbauen können.“
In den vergangenen Wochen sind zudem zahlreiche Iraker auf der Flucht vor der Miliz Islamischer Staat in die Region Dohuk geströmt. Das Spital in Dohuk hat Mühe, den Ansturm all dieser zusätzlichen Patienten zu bewältigen. „Seitdem tausende Vertriebene in die Region Dohuk gekommen sind, ist das Spital immer stärker unter Druck“, sagt Guadarrama.
Unter den Frauen im überfüllten Warteraum ist auch Vian, die vor Kurzem aus ihrer Heimatstadt Sindschar geflohen ist. Sie erreichte Dohuk nach einer beschwerlichen Reise mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern. Sie leidet unter schwangerschaftsbedingter Übelkeit und suchte deshalb das Dohuk-Spital auf. „Das Personal war viel zu beschäftigt, um mir gross Aufmerksamkeit zu schenken“, erzählt sie. „Ich weiss noch nicht, ob ich hier gebären werde, da ich nicht weiss, wie es jetzt weitergehen wird. In der Nacht muss ich dauernd daran denken, was ich alles zurückgelassen habe und kann deshalb nicht schlafen.“
Die Gesundheitsdienste von MSF sind zwar grundsätzlich für alle zugänglich, doch derzeit dürfen nur Flüchtlinge aus Syrien in das Lager Domiz. Guadarrama hofft, dass angesichts der steigenden Gewalt im Irak und in Syrien und den daraus entstehenden Vertreibungen MSF bald die lokalen Gesundheitsbehörden unterstützen kann, so dass auch neu Vertriebene und die ansässige Bevölkerung regelmässig von Mutter-Kind-Betreuung profitieren können.
„Die Stadt Sharia, die voll von vertriebenen Menschen aus Sindschar ist, liegt gleich gegenüber vom Lager Domiz“, sagt Guadarrama. „Wir stellen uns vor, dass unsere Ärzte in Sharia mobile Kliniken betreiben und Frauen bei Bedarf in die Geburtsklinik in Domiz überweisen.“
Derzeit scheint eine Krise die nächste zu jagen. Die Herausforderung für MSF ist nun, Möglichkeiten zu finden, die sowohl für die Flüchtlinge als auch für die intern Vertriebenen hilfreich sind.

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