Alltag der Vertriebenen in Gety

Gety, RDC.

4 Min.

Im nördlich von Kivu gelegenen Distrikt Ituri in der Demokratischen Republik Kongo ist die Situation weiter instabil. Bereits seit 2006 liefern sich Milizen und Armee sporadische Kämpfe, die - wie so oft - auf dem Rücken der Zivilbevölkerung ausgetragen werden. MSF ist im Einsatz, um dem medizinischen Bedarf sowohl der ansässigen Bevölkerung als auch der zahlreichen Vertriebenen gerecht zu werden. Sofern der Weg nicht von Bewaffneten versperrt wird, kommen die Menschen zum Teil sogar von sehr weit her.

An diesem Nachmittag im Juli hat das MSF-Team, das im Spital von Gety arbeitet, Barak aufgenommen, einen dreijährigen Jungen: Er hat schwere Verbrennungen am Bauch. „Er hat sich an dem Maisbrei verbrannt, den seine Mutter ihm heute morgen kochen wollte”, erklärt Aziba, sein Vater. „Wir haben ihn zuerst zur Krankenstation im Dorf gebracht, aber die Verbrennungen waren zu schwer. Dort konnten sie nichts für ihn tun. Er hatte starke Schmerzen, wir mussten ihn so schnell wie möglich hierher bringen. Wir sind 45 km zu Fuss gelaufen, aber das war es wert. Hier im Spital von Gety wird er schnell wieder gesund werden.”
Gety ist eine Kleinstadt im Zentrum von Ituri, einer der im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo gelegenen Distrikte, in denen bereits seit drei Jahren gewalttätige Zusammenstösse an der Tagesordnung sind. Die dortige Bevölkerung erhält von MSF medizinische Unterstützung. „Dass Barak das Spital rechtzeitig erreichen konnte, liegt daran, dass die Lage im Moment relativ ruhig ist”, erklärt Joël Duandro, der als Krankenpfleger für MSF im Spital arbeitet. „Vor wenigen Wochen war dies nicht der Fall, die Strasse war von Bewaffneten blockiert.”
In dieser an Bodenschätzen und wertvollen Hölzern besonders reichen Gegend kämpfen bewaffnete Milizen noch immer gegen die den Landstrich kontrollierenden Kräfte der regulären Armee (FARDC). Und wieder einmal stammen die ersten Opfer aus der Zivilbevölkerung. Bei den Konfrontationen haben die Einwohner keine andere Wahl, als sich in den Busch und in die Wälder zu schlagen, wo sie mit extrem schwierigen Lebensbedingungen konfrontiert sind und sie praktisch keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung haben.
Die jüngste Krise Ende 2008 veranlasste MSF dazu, nach Gety zurückzukehren - dort hatte die Organisation bereits bei vorherigen Angriffen im Jahr 2006 einen Notfalleinsatz durchgeführt. Seitdem ist kein Ende der sporadischen Auseinandersetzungen abzusehen: In Olongba, einer rund ein Dutzend Kilometer von Gety entfernten Ortschaft befinden sich 15’000 Vertriebene, weitere 10’000 hat es nach Soké verschlagen.
Die Teams von MSF haben als erstes die Bereitstellung von Hilfe in diesen Anlaufstellen in Angriff genommen. „Die Menschen haben sich aus Angst vor den Attacken der Bewaffneten nicht getraut, die Anlaufstellen zu verlassen”, erläutert Joël. Überall liessen die hygienischen Verhältnisse und die Wasserversorgung sehr zu wünschen übrig. Daher mussten dringend in kürzester Zeit Latrinen, Pump- und Wasseraufbereitungsstationen errichtet werden, um den Bedarf der vielen Menschen zu decken. Derzeit verteilt MSF mehr als 45’000 Liter Trinkwasser pro Tag.
„Es ist für diese Menschen und insbesondere diejenigen, die ausserhalb der Städte leben, sehr schwierig, ihre Gegend zu verlassen und für eine Behandlung zu uns zu kommen”, fährt Joël fort. „Die bewaffneten Kämpfer beinträchtigen die Mobilität der Menschen, sie leben auf ihre Kosten.” Zudem mangelt es an Ansprechpartnern vor Ort, denn das öffentliche Gesundheitssystem hat schwer unter den Krisen gelitten: geplünderte oder in Brand gesteckte Krankenstationen, kein medizinisches Personal, da dieses in sichere Orte wie beispielsweise die Städte geflohen sind, keine Medikamente - so sieht heute die Realität des Gesundheitswesens in Ituri aus, wie auch in vielen anderen Regionen im östlichen Kongo.
Die Dringlichkeit einer Einrichtung eines therapeutischen Ernährungszentrums im Spital von Gety war dem Team bereits nach kurzer Zeit bewusst. „Anfangs haben viele mangelernährte Kinder nicht überlebt”, erzählt Raphaël Ulreich, ein österreichischer Arzt, der seit mehreren Wochen für MSF in Gety arbeitet. „Viele litten unter Anämien bzw. Infektionen, die sie sich während ihrer Flucht zugezogen hatten. Noch heute sind drei Viertel der Patienten Vertriebene, die oft aus weit entfernten Krankenstationen an uns verwiesen wurden oder von unseren, die Stationen unterstützenden Teams hergebracht werden.” Wann immer möglich, hat sich ein Team von MSF zu entfernt gelegenen Orten aufgemacht, um die dort notwendige Unterstützung zu organisieren. Leider ist dies wegen der instabilen Lage zurzeit nicht überall möglich.
Künftig will MSF sich auf eine Verbesserung der Patientenaufnahme und der Qualität der Arbeit im Spital konzentrieren. „Dieses Spital ist nie wirklich als Referenzspital genutzt worden, und zwar auf Grund des Krieges”, erklärt Raphaël. „Wir haben damit begonnen, Verbesserungsmassnahmen durchzuführen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die materielle Ausstattung - durch eine Sanierung der einzelnen Abteilungen - sondern auch beim Personal, indem wir uns um die Organisation der Pflege und um Schulungen gekümmert haben. Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Versorgung von Kindern und Frauen, insbesondere werdender Mütter.”
Einen weiteren Schwerpunkt hat das Team auf die Betreuung von Opfern sexueller Gewalt gelegt. Raphaël ist sich sicher, dass es viel mehr Betroffene gibt als die wenigen Frauen, die im Spital vorstellig werden. „Frauen, die eine Vergewaltigung durchleiden mussten, haben Angst, dass man mit dem Finger auf sie zeigt”, erzählt er. „Sie fürchten, das Nachspiel für sie und ihre Angehörigen könnte noch schlimmer sein…”
Barak ist in seinem Bett mit dem Moskitonetz eingeschlafen. Es war ein langer Tag für ihn, aber jetzt ist er ausser Gefahr. Für das Team von MSF war es dagegen ein ganz normaler Tag bei den in Gety - im Herzen des Distrikts Ituri - Gestrandeten.

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